Resilienz für die Gastwelt:Staatliches Krisenmanagement optimieren – Wettbewerbsfähigkeit stärken
Ausgangslage
Die aktuelle wirtschaftliche Großwetterlage wird durch erhebliche Unsicherheiten und schwer kalkulierbare Risiken bestimmt. Stellen die Corona-Pandemie und der Klimawandel bereits für sich große Herausforderungen dar, werden diese durch den Krieg in der Ukraine, die resultierende Energiekrise, verschärfte Lieferengpässe sowie anhaltende Inflation zu einer sogenannten Polykrise zugespitzt.
Diese parallel auftretenden Krisen sind für Politik, Gesellschaft und damit auch für das Ökosystem Gastwelt (Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie) ein kraftraubender Dauer-Stresstest: Sie verlangen eine kontinuierliche Anpassung von Geschäftsmodellen, schnelle politische Entscheidungsprozesse und effektive Hilfsinstrumente.
Ein effektiveres Krisenmanagement und eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sind aus unserer Sicht ein zentraler Baustein, um die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen von Polykrisen künftig besser – und volkswirtschaftlich günstiger – abzufedern. Vor diesem Hintergrund schlagen wir mit diesem Papier eine Reihe von Ideen und Maßnahmen vor, um Deutschland besser auf neue Krisen vorzubereiten und die Resilienz unserer Gastwelt-Unternehmen zu erhöhen.
Analyse
Die staatlichen Unterstützungsleistungen zur Krisenbewältigung seit 2020 umfassen sehr hohe Volumen und stellen einen enormen finanziellen Kraftakt für die öffentlichen Haushalte dar. Sie haben einen erheblichen Anteil daran, dass hunderttausende Betriebe vor krisenbedingten Insolvenzen geschützt wurden und werden und die deutsche Wirtschaft bisher vergleichsweise gut durch die zurückliegenden Jahre gekommen ist. Das ist nicht selbstverständlich.
Nichtsdestotrotz haben sich Lücken im Netz gezeigt, z.B. bei Verbundunternehmen (wie Hotel- oder Reisebüroketten) und personalintensiven Einzelunternehmen (Dienstleistungssektor), welche die KMU-Grenze der EU von 249 Mitarbeitenden häufig überschreiten. Handlungsbedarf sehen wir vor allem auch bei der Effizienz von Prozessen z.B. bei Beantragung, Bewilligung und Auszahlung.
Staatliche Krisenmaßnahmen haben …
- die Geschäftstätigkeit der Gastwelt-Unternehmen teilweise massiv eingeschränkt, z.B. durch flächendeckende Lockdowns, Maskenpflicht, Ausgangssperren.
- viele der 250.000 Unternehmen der Gastwelt nicht oder verspätet erreicht, z.B. durch anfängliche Beschränkung des Energiekostendämpfungsprogramms und der Überbrückungshilfen auf KMU.
- für Verwirrung und Frustration gesorgt, z.B. durch parallel durchgeführte Maßnahmen (Land/Bund) und hohe bürokratische Anforderungen.
- zu einer ungleichen Behandlung geführt, z.B. aufgrund unterschiedlicher Kriterien-Auslegung bei den Hilfsgeldern etwa durch die Landesbanken.
Krisen-Handling und Wettbewerbsfähigkeit
Auch in Zukunft werden Polykrisen die Gastwelt beschäftigen – genau wie alle anderen Wirtschaftsbereiche. Staat und Wirtschaft brauchen neue Instrumente und Prozesse, um in solchen Situationen schnell und sicher reagieren zu können.
Tun sie das nicht, droht früher oder später eine schrittweise, substanzielle Auflösung der Gastwelt-Strukturen. Das hätte für viele Wirtschaftsbereiche sowie für die Gesellschaft in Deutschland erhebliche negative Folgen:
Leidet die Gastwelt, leiden vor allem die Regionen:
- Bedrohung der Vielfältigkeit der Gastwelt durch Wegfall vieler kleinerer Unternehmen und inhabergeführter Betriebe (Kneipe um die Ecke, Gasthöfe, Clubs)
- Flächendeckender Verlust von Arbeitsplätzen (vor allem in strukturschwachen Regionen) und dadurch Belastung der staatlichen Sozialsysteme
- Verödung ganzer Regionen durch Verlust von wirtschaftlichen Strukturen entlang der touristischen Wertschöpfungskette, Wegfall von sozialen Orten (Gaststätten, Freizeit- und kulturelle Angebote, Volksfeste, Vereinsheime), Wegfall von Mobilitätsinfrastruktur
- geringere Steuereinnahmen
Effektives Krisenmanagement und eine hohe Resilienz sind also wichtiger denn je. Die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit der Gastwelt muss sowohl in als auch über Krisenzeiten hinaus gewährleistet sein. Das wollen wir erreichen durch:
- eine Optimierung des staatlichen Krisenmanagements
- eine dauerhafte Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit und Geschäftsmodellen
Unsere Top-5-Ideen
- Staatliche Hilfszahlungen digital bündeln und beschleunigen: Wir schlagen die Einrichtung einer bundesweiten, branchenübergreifenden digitalen Plattform zur Abwicklung von Unterstützungszahlungen im Krisenfall vor. Diese Plattform sollte mit den entsprechenden Länderplattformen gekoppelt werden, um ein One-Stop-Shop-Prinzip zu gewährleisten und Skalenvorteile zu schaffen. Vorteil: Unbürokratische, beschleunigte und gerechte Hilfe für alle Betroffenen anhand zuvor politisch festgelegter Kriterien sowie schnelle Bereitstellung von überlebenswichtiger Liquidität.
- KMU-Plus Kategorie einführen: Die EU definiert Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeitenden und einem Umsatz bis zu 50 Millionen Euro pro Jahr als KMUs. Diese Eingrenzung ist insbesondere für den personalintensiven Dienstleistungssektor zu eng gefasst. Wir schlagen vor, zusätzlich eine Kategorie KMU-Plus einzuführen (auf EU-Ebene, aushilfsweise zunächst in Deutschland), alle Kennziffern zu verdoppeln und die Umsatzgrenzen jedes zweite Jahr automatisch an die Inflation anzupassen. Verbundunternehmen mit bis zu 50 Betriebsstätten sollen bei Hilfsmaßnahmen einen Einzelanspruch erhalten, um die Diskriminierung mittelständischer Strukturen zu verhindern.
- Investitionen in Digitalisierung und Nachhaltigkeit durch Förderbank stimulieren: Einrichtung einer bundesweiten „Gastwelt“-Bank nach dem Vorbild der österreichischen Tourismusbank (angedockt an die KfW), um die krisenbedingte Eigenkapitalschwäche abzufangen. Arbeitsschwerpunkt der Einrichtung, in der Finanzexperten mit detailliertem Branchenwissen arbeiten, ist die Bereitstellung von zinsgünstigen Krediten und staatlichen Fördergeldern vor allem für Investitionen in Digitalisierung und Nachhaltigkeit. In der neuen Förderbank werden die Programme aller Bundesministerien gebündelt, zusätzlich können auch die für den Unternehmensstandort zutreffenden Förderprogramme der Bundesländer in Anspruch genommen werden (One-Stop-Shop-Prinzip).
- Höhere Einstiegs-Gehälter durch Mehrwertsteuer-Entfristung: Die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes auf Speisen sollte ab 2024 dauerhaft entfristet werden. Das schafft Planungssicherheit und verhindert weitere Preiserhöhungen zum Jahreswechsel 23/24. Um den gesamtgesellschaftlichen Nutzen dieser Maßnahme zu unterstreichen, verpflichten sich die Gastwelt-Betriebe im Gegenzug mit einem Gentlemen's Agreement, die „zusätzlichen“ Mittel vor allem zur Erhöhung der Einstiegs-Gehälter zu verwenden.
- Digitalisierungs-Turbo einlegen: Gastweltweite Selbstverpflichtung zur deutlichen Steigerung der eigenen Digitalisierungsbemühungen. Ziel ist es, den Digitalisierungsindex bis 2025 auf 110 Punkte und bis 2028 auf 150 zu steigern (aktuell bei 84 Punkten). Die wesentliche Finanzierung der Maßnahmen soll über die neue Förderbank laufen.