Seit 2020 rutscht Deutschland von einer Krise in die Nächste: Erst Corona, dann der wachsende Personalmangel und schließlich der Ukraine-Krieg inklusive Energiekostenexplosion und Inflation – eine typische Polykrise. Die rund 250 000 Unternehmen der Tourismus-, Travel-, Hospitality- und Foodservice-Industrie (360°Gastwelt) haben in dieser Zeit ihre Geschäftsmodelle immer wieder angepasst und eigene Strukturen hinterfragt.
Trotz milliardenschwerer Staatshilfen und großem unternehmerischem Einsatz hat die Gastwelt dennoch wirtschaftlich und personell an Substanz verloren. Vor diesem Hintergrund hat die Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) in einem neuen Policy-Paper 15 Ideen und Vorschläge entwickelt, die das Ökosystem resilienter machen sollen.
„Ein effektives Krisenmanagement und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit im Allgemeinen sind zentrale Bausteine, um die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen von Polykrisen künftig besser abzufedern“, erklärt Denkfabrik-Vorstand Dr. Marcel Klinge.
Zu den umfangreichen Wirtschaftshilfen von Bund und Ländern hat der Thinktank das Feedback aus mehreren hundert Fällen ausgewertet. „Die Höhe der Zahlungen, immerhin über 130 Milliarden Euro ohne Kurzarbeitergeld, waren eine unglaublich wertvolle Stütze. Dafür sind alle Unternehmen der Politik auch sehr dankbar. Verbesserungsbedarf sehen sie aber beim Krisenmanagement, hier wurden drei Baustellen immer wieder genannt: Die Abwicklung war insgesamt zu langsam, die technische Beantragung zu kompliziert und die Hilfen in Teilen nicht treffsicher genug. Auf diese Stellschrauben haben wir den Fokus in unserem Papier gelegt“, so der frühere Bundestagsabgeordnete.
Bundesweite Antrags-Plattform mit KI-Unterstützung
Um das Antrags-Handling in Zukunft spürbar zu beschleunigen, schlägt die DZG als wichtigste neue Maßnahme die Einrichtung einer bundesweiten, branchenübergreifenden, digitalen Antrags-Plattform zur Abwicklung von staatlichen Unterstützungszahlungen vor.
Diese soll mit entsprechenden Länderprogrammen gekoppelt werden können, um ein One-Stop-Shop-Prinzip zu gewährleisten. Eine einheitliche Anlaufstelle reduziere das bisherige Wirrwarr bei der Beantragung und ein digitales Antrags-Handling führe zur schnelleren Bereitstellung von überlebenswichtiger Liquidität im Krisenfall, betont Klinge.
„In Sachen Künstlicher Intelligenz (KI) erleben wir gerade, was alles möglich sein wird. Diese Technologie sollten wir nutzen, um uns von der zeitraubenden Einzelfallprüfung zu lösen und analoge staatliche Strukturen nicht zu überfordern“. Auch werde durch eine einheitliche Plattform die unterschiedliche Kriterien-Auslegung bei der Prüfung durch die Landesbanken verhindert, die zu Ungerechtigkeiten und Wettbewerbsverzerrungen geführt hat.
KMU-Definition erweitern und automatisch an Inflation anpassen
Flankierend plädiert die Denkfabrik für die Einführung einer „KMU-Plus“-Kategorie. Die bisherigen EU-Kennziffern für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – bis zu 249 Mitarbeitenden und ein Jahresumsatz bis zu 50 Millionen Euro – seien für den personalintensiven Dienstleistungssektor zu eng bemessen, zudem wurden sie seit Jahren nicht mehr in der Höhe angepasst.
„Schon mittelgroße Hotels, Reisebüroketten oder Caterer lagen schnell über den KMU-Grenzen und fielen bei Unternehmenshilfen immer wieder durchs Raster. Daher benötigen wir – auf EU-Ebene, aushilfsweise zunächst in Deutschland – eine erweiterte KMU-Plus-Definition mit doppelt so hohen Kennziffern. Außerdem sollen die Umsatzgrenzen jedes zweite Jahr automatisch an die Inflation angepasst werden“, ergänzt Co-Vorstand und Hotelier Marcus Fränkle. Für Verbundunternehmen mit bis zu 50 Betriebsstätten in Deutschland schlägt die DZG ergänzend einen Einzelanspruch auf Hilfen vor, um der Diskriminierung mittelständischer Strukturen entgegenzuwirken.
Nationale Förderbank für Digitalisierung und Nachhaltigkeit
„Mit dem Blick auf die nächsten Jahre haben wir uns auch mit der Frage beschäftigt, wie wir Investitionen in Digitalisierung und Nachhaltigkeit stimulieren und die krisenbedingte Eigenkapitalschwäche vieler Unternehmen abfedern können. Die Einrichtung einer nationalen Förderbank nach dem Vorbild der österreichischen Tourismusbank wäre hierauf die optimale Antwort“, so Fränkle weiter.
Fokus der Einrichtung solle die Bereitstellung von zinsgünstigen Krediten und staatlichen Fördergeldern für Investitionen sein – mit den Schwerpunkten Digitalisierung und Nachhaltigkeit. In der neuen Bank, die sich an die KfW andocken soll, könnten die Förderprogramme aller Bundesministerien gebündelt und zusätzlich auch die für den jeweiligen Unternehmensstandort geltenden Programme der Länder eingespeist werden (One-Stop-Shop-Prinzip).
DZG-Sprecher Klinge: „Auch wenn nicht alle unserer Vorschläge sofort umsetzbar sind, wollen wir mit unserem Papier Impulse liefern, wie sich Staat und Gastwelt besser auf neue stürmische Zeiten vorbereiten können. Corona war für hunderttausende Unternehmen und Millionen Beschäftigte eine enorm anstrengende Zeit – wirtschaftlich wie persönlich. Zu viele haben unsere Industrie bereits verlassen oder aufgegeben, das soll sich künftig nicht mehr wiederholen.“